Warum wir über Klassismus sprechen müssen

Francis Seeck

Klassismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft oder Klassenzugehörigkeit. Klassismus richtet sich gegen Menschen aus der Armuts- oder Arbeiter*innenklasse, zum Beispiel gegen einkommensarme, erwerbslose, wohnungslose Menschen oder gegen Arbeiter*innenkinder. Klassismus hat Auswirkungen auf die Lebenserwartung und begrenzt den Zugang zu Wohnraum, Bildungsabschlüssen, Gesundheitsversorgung, Macht, Teilhabe, Anerkennung und Geld.

In der Corona-Pandemie offenbaren sich die Effekte einer Klassengesellschaft mit voller Wucht. Wohnungslose Menschen, einkommensarme Personen und Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen trifft die Krise wesentlich härter – auch gesundheitlich (Seeck/Theißl 2020). Sozio-ökonomisch benachteiligte Menschen haben ein höheres Risiko, wegen Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, zeigte eine Analyse der Uniklinik Düsseldorf und der Krankenkasse AOK (Delfs/Kooroshy 2020).

Während der Corona-Pandemie werden diese sozialen Unterschiede wie unter einem Brennglas sichtbar. Erwerbslosigkeit und unsichere Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu. Die einen können es sich zu Hause gemütlich machen; die anderen müssen weiter lohnarbeiten, und sich gering entlohnt dem Virus aussetzen. Die einen können sich in komfortable Häuser zurückziehen; die anderen sitzen in engen Wohnungen fest oder haben als wohnungslose Menschen keinerlei Ort, an dem sie in Sicherheit sind.

Das Leben in der Corona-Pandemie bedeutet dabei für einkommensarme Menschen aber auch schlicht Alltag: „Sie sind es gewohnt, isoliert in ihren Wohnungen zu sitzen und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu sein. Nach draußen zu gehen, bedeutet für sie schon immer, Geld ausgeben zu müssen, über das sie nicht verfügen.“ (Seeck 2020)

Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie sind nicht abzusehen. Auch wenn die Lebensrealitäten von Arbeiter*innen in der Fleischproduktion, von Erntehelfer*innen und Pflegeheim-Bewohner*innen sichtbarer geworden sind, braucht es enorme kollektive Anstrengungen, sich der Umverteilung von unten nach oben entgegenzustellen und menschenwürdige Lebensbedingungen für alle zu erkämpfen (Seeck/Theißl 2020).

Zum Weiterlesen:

Delfs, Stefanie & Kooroshy, Kaveh (2020). Wissenschaftliche Analyse. Corona trifft sozial Benachteiligte härter. Zugriff am 20. Juni 2020 unter www.tagesschau.de/inland/corona-sozialschwache-101.html.

Seeck, Anne (2020). Von Umverteilung ist kaum etwas zu hören. In Francis Seeck & Brigitte Theißl (Hrsg.), Solidarisch gegen Klassismus. Organisieren, intervenieren, umverteilen. Münster: Unrast.

Seeck, Francis & Theißl, Brigitte (2020). Solidarisch gegen Klassismus. Organisieren, intervenieren, umverteilen. Münster: Unrast.

Foto: privat

Francis Seeck ist Geschlechterforscher*in und Kulturanthropolog*in und arbeitet zu den Themen Klassismus, Sorgearbeit und geschlechtliche Vielfalt. Zurzeit ist Seeck Vertretungsprofessor_in für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Neubrandenburg. 2020 erschien der Sammelband Solidarisch gegen Klassismus. Organisieren, intervenieren, umverteilen herausgegeben von Seeck und Brigitte Theißl bei Unrast.