Aluhüte und Ohnmacht

Ines Schwerdtner

Fahnenschwenkend versuchen sie das Regierungsgebäude zu stürmen. Sie scheitern an den Glastüren des Bundestages, in Washington gelingt es. Die beiden Szenen trennen nur einige Wochen und der spezifische Kontext der Wahlniederlage Donald Trumps. Doch im Kern ähneln sich die „Aufstände“ darin, dass sie eine Reihe von Frustrierten ganz widersprüchlicher Ausprägung und überzeugte Rechte versammeln.

Bei den sogenannten Corona-Demos in Berlin, Leipzig oder Stuttgart kommen diejenigen zusammen, die „Kritik“ an der Regierung oder an der Wissenschaft mit Verschwörungen und Wahn auf eine Weise mischen, dass lange Zeit kaum auszumachen war, welche Motive den Protest schürten. Eine Studie der Universität Basel1 kommt nun zu dem Schluss: Das Hauptmotiv der Corona-Leugner sei Angst. Die Demonstrantinnen und Demonstranten kämen von links, wanderten aber nach rechts. Sie eint eine kritische Haltung zur Wissenschaft, zu Fakten und politischen Eliten.

Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer und ebenso vielen Jahren neoliberaler Politik hat sich offenbar ein Gefühl der Ohnmacht eingeschlichen, das nicht mehr nur ein ostdeutsches Phänomen ist. Hatten die Ostdeutschen in den Jahren nach der Wende mit dem plötzlichen Umbruch, Arbeitslosigkeit und Strukturwandel zu kämpfen, ist es heute ein gesamtdeutsches Szenario: Mittelklassen fürchten den wirtschaftlichen Abstieg, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen schwindet. Ein Teil dieser Ohnmacht entlädt sich während des Pandemiejahres in dem Protest, der sich auch am Bundestag im November 2020 zeigt.

Seit Anfang der Pandemie bestand die Gefahr, dass die Einschränkungen der persönlichen Freiheiten von rechts mobilisiert werden könnten. Die Ergebnisse der Baseler Studie zeigen aber, dass es nicht notwendig so kommen musste, sondern ein Teil des Protests aus dem linken oder grünen Milieu kommt. Ein Rückschluss könnte sein, dass die politische Linke es versäumt hat, Regierungskritik und Unsicherheit für eine alternative Politik zu mobilisieren. Eine Politik, die nicht auf Wahn und Verschwörung basiert, sondern den Menschen ein Gefühl der Sicherheit gibt. Es würde bedeuten, politische Schritte nicht über die Köpfe der Menschen hinweg zu entscheiden. Dem Gefühl der Ohnmacht keine Nahrung mehr zu geben.

1Nachtwey, Oliver; Schäfer, Robert; Frei, Nadine (2020): Politische Soziologie der Corona-Proteste. Basel (https://osf.io/preprints/socarxiv/zyp3f/).

Foto: privat

Ines Schwerdtner ist Politikwissenschaftlerin und lebt in Berlin. Sie schreibt und veröffentlicht zum deutschen Parteiensystem und neuer Klassenpolitik. Seit 2020 ist sie Chefredakteurin des deutschsprachigen Jacobin Magazins.