Ralf Schmidt-Pleschka
Sebastian Jung zeigt die Wirklichkeit auf trügerische Art und Weise. Seine Zeichnungen kommen cartoonesk daher und stecken doch voller Tragik und latenter Gewalt. Die Polizei kesselt Demonstrierende ein, Menschen stürmen das Kapitol, andere sitzen erschöpft im Einkaufszentrum oder dämmern ärmlich auf dem Bürgersteig vor dem Bahnhof Zoo in Berlin. Und selbst der Zoobesuch beklemmt – am letzten Tag vor dem Lockdown. Im Wissen um die über allem stehende Coronakrise verzerrt sich der Blick wie im Gravitationsfeld eines Schwarzen Loches. Die Krise wirkt als Katalysator für das Trennende, sie vereinzelt und verschärft die Kluft in unserer Gesellschaft.
Welche Antwort haben wir auf diese erschreckende Erkenntnis? Gibt es eine? Ich glaube ja. Gegenüber dem Trennenden hat sich eine Hoffnung entwickelt, dass wir Krisen überwinden können durch die Gewissheit, dass wir alle gleichermaßen betroffen sind. So hat die Coronakrise für viele den Gedanken erst greifbar gemacht, dass die nicht minder bedrohliche Klimakrise noch zu entschärfen ist. Corona hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft in den Handlungsmodus kommen kann, dass sehr vieles möglich wird, wenn wir es nur wollen und wenn wir auf die Wissenschaft hören. Auch, das Trennende zu überwinden.
In vielen Köpfen und Herzen ist inzwischen verankert, dass die Klimakrise keine Pause macht. Und das ist gut so. Denn ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 hat der CO2-Gehalt der Atmosphäre den bisher höchsten gemessenen Wert erreicht. Und die globale Antwort darauf lautet: Drei Grad! Um diesen Wert würde die weltweite Durchschnittstemperatur steigen, wenn wir die von den Unterzeichnern des Klima-Abkommens von Paris bislang angekündigten, aber keineswegs umgesetzten Emissionsminderungen erreichen. Drei Grad! – Schon bei plus 1,5 Grad verschwinden bewohnte Inseln im Meer, bei 2 Grad werden die Kipppunkte erreicht, welche die Erderhitzung unwiderruflich zur globalen Katastrophe machen.
Es braucht also mehr, viel mehr! Früher wurden wir damit abgespeist, dass das alles so schnell nicht gehe. Der Pulsschlag der Politik sei nun mal das Tempo des kleinsten gemeinsamen Nenners. Die Erfahrung in diesem Krisenjahr aber schürt neben dem Trennenden auch die Hoffnung, dass wir diesen Kleingeist überwinden können. Es tut gut, diese Hoffnung zu nähren.
Ralf Schmidt-Pleschka (*1964 im Rheinland) ist Diplom-Geograf und startete seinen beruflichen Werdegang vor über 30 Jahren in der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestags. Klimaschutz und Energiewende haben ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Neben beruflichen Stationen, etwa beim Bundesverband Die Verbraucher Initiative, als Energiereferent im Bundestag und aktuell als Koordinator für Energie- und Klimapolitik bei einem Ökostromversorger, engagiert er sich bis heute auch direkt in der Politik. In den 1990er Jahren war er Mitglied des Rates der Stadt Bonn. Im Jahr 1999 zog es ihn nach Berlin. Heute pendelt er zwischen der hektischen Metropole und dem ruhigen Brandenburg.