Mike Laufenberg
In der Corona-Pandemie ist vielen Menschen das kontinuierliche Angewiesensein auf Sorgearbeit bewusster geworden. Hier und da ist sogar in die Öffentlichkeit gedrungen, dass Sorgearbeiter*innen – die überwältigende Mehrheit von ihnen sind Frauen – ihre eigene Gesundheit ruinieren, um den Laden zusammenzuhalten. Denn im Kapitalismus werden gute Bedingungen und ausreichend Ressourcen für Sorgearbeit strukturell untergraben. Doch sein zerstörerischer Geist, der nicht der Sorge ums Leben, sondern dem Kalkül des Profits gehorcht, lässt sich dieser Welt auch nach einem Jahr globaler Pandemie nicht austreiben. Statt allen Menschen ausreichend Masken, Tests und Impfstoffe zugänglich zu machen und statt für einen kurzen, aber wirklich konsequenten Lockdown zu werben, wird vorrangig das öffentliche und soziale Leben in einen permanenten Dämmerzustand versetzt. Wenigstens in dieser Hinsicht scheint sich ein neoliberaler Traum zu erfüllen: Das Leben wird auf Arbeit und (Online-)Konsum reduziert und immer stärker auf die private Existenz zusammengeschrumpft.
Diejenigen, die auf Corona-Demos protestieren und ihren Widerstand gegen angebliche Impfdiktatur und Maskenzwang verkünden, mögen sich selbst als Freiheitskämpfer stilisieren, doch das Gegenteil trifft zu. Ihre Freiheit ist gerade keine soziale und schon gar keine solidarische. Es ist mit Marx gesprochen die Freiheit von Privatmenschen, die ihr Angewiesensein auf die Gesellschaft nicht als Ermöglichung, sondern Beschränkung ihrer Freiheit wahrnehmen – und die für die Verteidigung dieser Freiheitsfiktion über Leichen zu gehen bereit sind. Sie verkennen hierbei systematisch, dass die Sorge für das Leben Freiheit nicht bedroht, sondern deren Grundlage und Bedingung ist. Das Versagen des Krisenmanagements der Regierenden liegt somit nicht darin, dass sie zu viel, sondern zu wenig Sorge walten lassen. Der jahrzehntelange neoliberale Angriff auf unsere sozialen Lebensgrundlagen und die wütend zur Schau getragene autoritäre Freiheit der Corona-Leugner*innen sind zwei Seiten derselben Medaille. Für Freiheit zu sorgen, heißt daher heute mehr denn je, an zwei Fronten zu kämpfen: gegen die fortlaufende Zerstörung unserer materiellen und öffentlichen Lebensbedingungen; und gegen die schleichende Faschisierung der Gesellschaft im Namen von Freiheit.
Mike Laufenberg ist Soziologe und arbeitet am Arbeitsbereich Politische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wohlfahrtsstaatsforschung, der kritischen Gesellschaftstheorie und Kapitalismusanalyse sowie der Queer Studies und Geschlechterforschung.