Mara-Daria Cojocaru
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Ursache dieser Pandemie im Umgang von Menschen mit nicht-menschlichen Tieren liegt, und dabei ist der chinesische Tiermarkt nur eine für Mitteleuropäer*innen vielleicht exotisch anmutende Form eines allgegenwärtigen Systems der Tierausbeutung, die negativ auf die Menschheit zurückkommen wird. Wir werden – hoffentlich – bald gesellschaftlich vor der Aufgabe stehen, den wirtschaftlichen Motor wieder zum Laufen zu bringen. Gut wäre, wenn wir dabei nicht weiter in die gewohnte Richtung der industriellen Landwirtschaft steuerten.
In der philosophischen Forschung kommt man nur selten zu einem Konsens. Es ist umso bemerkenswerter, dass mittlerweile alle maßgeblichen ethischen Paradigmen die industrielle Tierhaltung, die neben den Schäden für Umwelt, öffentliche Gesundheit und individuelle Gesundheit das millionenfache Leid von in aller Regel als empfindungsfähig anerkannten Lebewesen mit sich bringt. Bislang lag es bei der Übertragung ethischer Argumente in praktische Kontexte immer auf der Hand, dass Menschen anders können, dass sie beispielsweise den Konsum von Fleisch, Milch, Eiern usw. beenden oder zumindest wesentlich reduzieren können. Wir lebten nicht in einer „Rettungsboot-Situation“, in der nur eine Partei – Mensch oder Tier – überleben könnte.
Mit COVID-19 im Hintergrund ist es wichtig, diese ethischen Errungenschaften nicht aus den Augen zu verlieren. Zentral ist dabei, tierliches und menschliches Wohlergehen weiter auf einen Nenner zu bringen, denn es geht – mehr denn je – um das Ganze, von dem Menschen und andere Tiere Teil sind. Damit das gelingt, braucht es eine Mischung aus Pragmatismus und Visionen, und hier hat die tierethische Debatte mit der Wende hin zur politischen Theorie in den letzten zehn Jahren eine spannende Wendung genommen.
Wir finden dort eine wahre Fundgrube an Ansätzen, wie sich menschliche und tierliche Gesundheit zusammendenken lässt (Stichwort One Health), wie sich Mensch-Tier-Gesellschaften neu denken lassen (Stichwort Zoopolis) und wie Menschen die schon bei Darwin zu findende Idee realisieren könnten, dass die Humanität dann auf ihrem Höhepunkt angelangt ist, wenn Menschen die anderen Tiere moralisch berücksichtigen.
Mara-Daria Cojocaru ist Dozentin für Praktische Philosophie an der HFPH München und forscht unter anderem zum Philosophischen Pragmatismus und zur Tierethik. Sie interessiert sich besonders dafür, wie sich zumindest der tierethische Minimalkonsens umsetzen ließe, und hat dazu ein Buch für die WBG geschrieben: Menschen und andere Tiere.