Nina Weimann-Sandig
Alleinerziehend zu sein bedeutet bereits in Zeiten gesellschaftlicher Normalität einen Spagat: Alleinerziehende sind Mama und Papa, Schutzgebende und Erziehende, Ernährende und Alltagsmanagende in einer Person. Wo Familien mit zwei Elternteilen sich im Wechsel um die familiäre Sorgearbeit und die entlohnte Berufstätigkeit kümmern, müssen Alleinerziehende diese Aufgaben überwiegend allein meistern und können im besten Fall auf ein ausgeklügeltes Unterstützungsnetz aus institutionalisierter Kinder- und Schulbetreuung, Omas und Opas sowie den Freundeskreis zurückgreifen. Im allerbesten Fall beteiligt sich der getrenntlebende Elternteil an den Erziehungsaufgaben und unterstützt finanziell.
Seit Beginn der Corona-Krise ist diese Normalität für Alleinerziehende ausgehebelt. Besonders die Lockdown-Phasen bedeuten für Alleinerziehende wie auch deren Kinder in erster Linie soziale Isolation, eine Potenzierung der zu leistenden familiären Sorgearbeit sowie die Zunahme psychischer Belastungsfaktoren. Während sich die politisch Verantwortlichen in Deutschland einig waren, mit der Forderung nach Homeoffice eine gute Möglichkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Phasen des Lockdowns geschaffen zu haben, straften die Erfahrungen Alleinerziehender die gut gemeinten Idee Lügen: Wo Arbeitgeber ohne Augenmaß für die Situation von Alleinerziehenden auf starren Arbeitszeiten und einer Anwesenheits- oder Erreichbarkeitspflicht beharren, wo die Nicht-Teilnahme an Online-Meetings mit Abmahnungen bestraft wird, da kann von einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf keine Rede sein. Ein Großteil der Alleinerziehenden in Deutschland ist in Teilzeit beschäftigt, sodass die Einkommen selten üppig sind und die alleinernährende Person der Arbeit Vorrang vor der Beschulung der Kinder einräumen muss.
So offenbart diese Krise das, was schon lange in der Wissenschaft thematisiert, aber in der politischen Sphäre und gesellschaftlichen Öffentlichkeit nur als Randthema behandelt wird: Alleinerziehende sind in einem reichen Land wie Deutschland , welches sich familienpolitisch mit der Pluralisierung von Familienmodellen schmückt, noch immer von sozialer Exklusion und ungleichen gesellschaftlichen Teilhabechancen deutlich häufiger betroffen als Familien und Kinder in anderen Familienmodellen. Dementsprechend sollten wir diese Krise als Chance begreifen und die Diversität von Familien nicht nur bei deren Gründungsphase unterstützen, sondern gerade dann, wenn Familien auseinandergehen.
Nina Weimann-Sandig lehrt Soziologie und Empirische Sozialforschung an der Evangelischen Hochschule Dresden. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen für unterschiedliche Familienmodelle. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Familien in Sachsen sowie Mitglied im Landesausschuss für Familien des Freistaats Sachsen.