Susanne Lanwerd
Wie gelangt ein Wort, hier Serendipität, in die lebendige Sprache? Vor Jahrhunderten fand serendip seinen Weg in das britische Königreich: über ein arabisches Märchen, das erstmals im 16. Jahrhundert in Venedig erschienen ist. Im Märchen machen drei Prinzess*innen Entdeckungen, nach denen sie nicht suchten, im Land Sarandīb. Die englische Übersetzung serendip wurde um 1754 in den Briefen von Horace Walpole erwähnt, der vielleicht das Märchen „The Three Princes of Serendip“ kannte. Seither reist das Wort in der Weltgeschichte umher. In der Versuchsanordnung füge ich Ästhetik hinzu.
Was bewirkt die ästhetisch-serendipitäre Anordnung im Blick auf Corona?
In Pandemien sind Existenzen bedroht und dies gleich mehrfach: Es geht um die Bedrohung des Körpers, der Jobs, um die Bedrohung der Kultur, der Stadt, des Lebens, der Freude; die leibliche und gesellschaftliche Existenz steht infrage.
Eine Versuchsanordnung für die Triade Corona – Ästhetik – Körper gibt Konstellationen zu denken, die die Prozesse ihres miteinander Verbundenseins in Augenschein nehmen. Und: Jede Versuchsanordnung erprobt Haltungen und generiert Erkenntnis.
Die Ästhetik der Serendipität ist mit dem peripheren Sehen verwandt – etwas wird aus dem Augenwinkel heraus erfahrbar. Das heißt, dass unter engen, einfachen oder besonderen Bedingungen Erkenntnis ermöglicht wird. Ästhetische Serendipität, die sich – wie beim peripheren Sehen – in Körperhaltungen spiegelt, ist vielerorts anzutreffen. Zum Beispiel mit jeder Anamorphose, einer künstlerischen Bildform, die betont, wie man schaut. Oder in musikalischen Improvisationen, die durch physischen Einsatz, Gesten, Blicke, Kopfnicken, Mimik entstehen. Oder dank jeder Zeichnung, die – hingehaucht, mit nur wenigen Strichen angedeutet – die Dichte des Lebens, die Komplexität des Menschen zur Wahrnehmung bringt: auf dem Papier.
Die Verknüpfung von Psychoanalyse, Ästhetik und Serendipität ist augenfällig. Denn in jeder der genannten Aufmerksamkeiten sind Verschiebungen am Werk: Im Verschobenen mischt sich das Unbewusste ein und bietet – ohne vorgefasstes Ziel – eine Erklärung der Welt.
Susanne Lanwerd ist Professorin für Ästhetik, Psychoanalyse und Kulturwissenschaft an der IPU Berlin. In einem ihrer letzten Bücher untersucht sie den Zusammenhang von Corona und dem Klimawandel.
Weitere Schwerpunkte und Publikationen sind auf ihrer Internetseite zu finden.