Grenzenlos

Stine Klapper

Das Virus kennt keine Grenzen, heißt es. Wir selbst kennen Grenzen aber sehr wohl und gerade in Ländern wie Albanien erscheinen diese in der Corona-Pandemie in vielerlei Hinsicht so hoch wie lange nicht mehr.

Albanien strebt in die EU. Die Bevölkerung ist so pro-europäisch wie sonst nirgends: Deutlich mehr als 90 Prozent der Menschen geben in Befragungen an, dass sie für die europäische Integration sind. Alle Parteien sehen das genauso und in den vergangenen Jahren sind wichtige Reformen erfolgt. Auch wenn dem Land noch Kraftakte bei Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung bevorstehen, so ist die Richtung klar. 2020 standen die Signale auf Durchbruch, als die Eröffnung der Beitrittsgespräche angekündigt wurde. Die Ernüchterung folgte jedoch auf dem Fuße. Eine Eröffnungskonferenz fand nicht statt und so reihte sich auch 2020 wieder ein in die Jahre des Aufschiebens. Ohne Wirkung blieb das nicht. War die Bevölkerung – ohne EU-Pass, Aufenthaltstitel oder sonstige Ausnahmeerlaubnis – schon seit Ausbruch der Pandemie vom Reisen in die Union gehindert, so ist nun auch die Botschaft, die das Aufschieben sendet, im Ausblick alles andere als willkommen heißend. Als Folge ändert sich auch die Rhetorik im Land: Zwar steht die EU noch immer hoch im Kurs und kein*e Entscheidungsträger*in rüttelt am pro-europäischen Konsens. Doch es häufen sich kritische Stimmen. Auch die Zivilgesellschaft, die sich zu weiten Teilen eine EU-Mitgliedschaft als Ziel auf die Fahne schreibt, zweifelt mehr und mehr an der Glaubwürdigkeit der EU. Dass es dabei einzelne Regierungen sind, die den Prozess blockieren und nicht die EU, spielt keine Rolle. Während Albanien 2020 noch mehrfach medizinisches Fachpersonal zur Unterstützung in das von der Pandemie stark betroffene Italien schickte, sparte die EU in ihrem Impfplan die Beitrittskandidaten aus, die mitten in Europa liegen.

In Deutschland wird vom Impfdebakel gesprochen, doch selten ist damit das Debakel der fehlenden internationalen Solidarität gemeint. Das betrifft vor allem den globalen Süden, aber auch Länder wie Albanien. Denn Corona hat das Land hart getroffen. 2020 sind laut dem nationalen Statistikamt 26,4 Prozent mehr Menschen gestorben als durchschnittlich 2016 bis 2019. Die Infektionszahlen sind im Februar 2021 so hoch wie nie. Das Virus ist allgegenwärtig, in allen Familien, in allen Freundeskreisen, an allen Arbeitsplätzen. Und es kennt keine Grenzen, heißt es.

Foto: Amanda Mustard

Stine Klapper leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tirana, Albanien (Webseite). Ihre Schwerpunktthemen dort sind die Stärkung gesellschaftlicher Partizipation, eine progressive Wirtschaftspolitik und die europäische Integration. Zuvor war Stine Klapper für die FES in Thailand, Kambodscha, im (damaligen) Mazedonien und in Tschechien tätig.